
Der Filmemacher Conrad Winkler ist trotz seiner jungen Karriere kein unbeschriebenes Blatt. Für seinen Dokumentarfilm „Stadtrand“ ist er einst nach Trotha gezogen. Der Film wurde beim Leipziger Kurzfilmfestival „Kurzsüchtig“ ausgezeichnet und lief auch im Programm des MDR. Für seinen Abschlussfilm hat es den Dokumentarfilm-Studenten der renommierten Hochschule für Fernsehen und Film in München wieder an den Stadtrand verschlagen – nach Halle-Neustadt. Was der gebürtige Hallenser nun vorhat und warum ein Picknick am Wegesrand bei ihm die Initialzündung für seine Filmidee ausgelöst hat, erfahren Sie hier.
Die eigene Abschlussarbeit stellt für Studierende oftmals eine scheinbar unüberwindbare Herausforderung dar, eine, die man auch gerne lieber aufschiebt. Conrad Winkler hat für seinen Abschluss allerdings keine Seiten zu füllen, sondern ein Abendprogramm. Vergangenes Jahr zog Winkler im Rahmen seiner Recherche nach Halle-Neustadt, zuvor hatte er kaum Berührungspunkte mit dem Stadtteil und kannte HaNeu nur vom Schwimmunterricht.
Das Interesse für den Ort war da, aber eine konkrete Idee hatte er nicht. Neustadt ist für Winkler mit polarisierenden Bildern aufgeladen – zwischen Sozialismus und sozialem Brennpunkt. Und so bekam Winkler erste Zweifel am eigenen Vorhaben. Den entscheidenden Impuls hatte eine zufällige Beobachtung vergangenen Sommer im Südpark bei ihm ausgelöst. Einige Kinder haben auf einem schmalen Grünstreifen vor ihrem Haus ein Picknick abgehalten, keine Erwachsenen weit und breit: ein Moment der Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit. Winkler sieht darin eine Brücke zu den Anfängen, als Halle-Neustadt eine junge und kinderreiche Stadt war. „Irgendwie war der emotionale Zugang durch dieses Bild am Anfang da und ich dachte, es macht jetzt total Sinn in Neustadt auf Kinder zu schauen”, sagt Winkler, „wie erleben sie aktuell den Stadtteil und was machen sie aus ihm?”
Vom Praktikum zum Casting
Der Stoff war gefunden für einen Film, den er auch gerne im Kino sehen würde – für den Filmemacher ein gutes Omen für ein erfolgversprechendes Projekt. Um die Protagonist:innen für seinen Film zu finden, hat Winkler in verschiedenen Kinder- und Jugendeinrichtungen hospitiert und dort viel Zeit verbracht, angepackt, geholfen, Radio- und Filmprojekte mit den Kindern umgesetzt und nebenbei sein Casting betrieben. Und dabei die Kinder genau beobachtet: Wer hat eine besondere Ausstrahlung, zu wem lässt sich eine Bindung aufbauen? Vier Kinder hat Winkler für seinen Film schließlich gewonnen: zwei Mädchen und zwei Jungen – vier Nationalitäten.
Die Arbeit mit Kindern ist für Winkler inspirierend, aber auch herausfordernd. Kinder seien deutlich aufgeschlossener, aber die Arbeit ist von Spontanität geprägt, sie ist weniger planbar, man muss sich einlassen – auf den Moment und die Persönlichkeit des Kindes. Überzeugungsarbeit war hingegen besonders bei den Eltern vonnöten, um Vertrauen aufzubauen und das eigene Vorhaben und die Besonderheiten des Dokumentarfilms begreifbar zu machen. Schließlich will Winkler die Familien über einen langen Zeitraum begleiten. Da ist es wichtig, sich kennenzulernen, die eigene Arbeit transparent zu machen und die Familien an das Setting mit der Kamera heranzuführen.
In der zweiten Jahreshälfte soll es dann mit den Dreharbeiten losgehen. 20 Drehtage sind dafür angesetzt, die flexibel gewählt werden, schließlich will Winkler natürliche Szenen aus dem Alltag der Kinder einfangen. Denkbar sind allerdings auch kleine Denkanstöße oder Aufgaben, mit denen Winkler die Kinder anleiten will, um eine Auseinandersetzung mit dem Ort zu schaffen und die zugleich die jeweiligen Talente der Kinder aufzeigen. So lassen sich Kinderzeichnungen mittels KI animieren oder einzelne Tonaufnahmen zu einer szenischen Klangcollage verdichten. Ob diese Ideen dann fruchten, lässt sich aber erst im Drehprozess und spätestens im Schnitt beurteilen. „Spielfilm ist Diktatur, Dokumentarfilm eher Demokratie”, findet Winkler. Dokumentarfilm ist eine Gemeinschaftsarbeit, die sich dialogisch aus dem Prozess entwickelt, es ist ein Geben und Nehmen. Doch was nehmen Winklers Protagonist:innen aus seinem Film mit?
„Halle-Neustadt ist ein Lebensraum und kein Brennpunkt”
Halle-Neustadt ist ein beliebter Stoff für Medienprojekte, – ein ständiges Kommen und Gehen. Eine Reportage von Stern-TV über Halle-Neustadt erreichte vergangenes Jahr ein Millionenpublikum. Das eindimensionale Bild, das die Doku von HaNeu zeichnet, verfängt sich in den Köpfen der Menschen – auch von denen, die hier leben. Winklers Arbeit wird jedoch kein Imagefilm über den Stadtteil. Er will die Probleme benennen, aber auch keine Stereotypen abbilden oder Kriminalitätsstatistiken runterbeten.
Winkler will nicht nur über, sondern aus Halle-Neustadt erzählen und aufzeigen, dass hinter seinen Protagonist:innen echte Menschen stecken. „Halle-Neustadt ist ein Lebensraum und kein Brennpunkt”, sagt Winkler. Mit seinem Film wird er das Denken der Kinobesucher:innen nicht verändern können – das wäre idealistisch. Aber er will den Film in das Leben der Kinder tragen und Interesse wecken, um die eigene Geschichte zu erzählen. Damit hofft er, zumindest einen Zugang zur eigenen Wahrnehmung zu schaffen und zwar nicht nur für die Kinder, die in seinem Film auftauchen, sondern für alle, die sich in ihnen wiedererkennen.