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  • „So ein Block war wirklich wie ein Dorf– nur auf zwölf Etagen mit Fahrstuhl”

    „So ein Block war wirklich wie ein Dorf– nur auf zwölf Etagen mit Fahrstuhl”

    Wie und über welche Kanäle kommunizieren Menschen in Halle-Neustadt? Diesen Fragen ist die Autorin Dr. Anna-Lena Wenzel im Rahmen ihrer Recherche nachgegangen. Parallel sind mehrere Interviews mit zu- und fortgezogenen Bewohner:innen des Stadtteils entstanden. An dieser Stelle veröffentlichen wir eine gekürzte Interviewfassung mit Tony (Name geändert), der als Afro-Deutscher in Neustadt zwischen Sozialismus, Wende und Baseballschlägerjahren aufwuchs.

    Anna-Lena Wenzel: Wie hast du deine Ankunft in Halle-Neustadt erlebt? 

    Tony: Meine Mutter zog 1972 mit mir und meinem jüngeren Bruder hierher. Es gab Jobs und Wohnungen, hieß es. Ich war sechs. In meinem Block wohnten 15 Schüler aus meiner Klasse. Ich kenne bis heute die Vornamen ihrer Geschwister und Eltern. So ein Block war wirklich wie ein Dorf – nur auf zwölf Etagen mit Fahrstuhl. Damals war alles Baustelle. Wir spielten viel draußen und bauten auch mal Mist.

    Und wie war es, als Afro-Deutscher hier aufzuwachsen? 

    In der Tram blieb der Platz neben mir oft frei, selbst wenn es voll war. Setzte ich mich neben jemanden, zog derjenige seine Taschen enger an sich. Nervig war auch, wenn Bekannte mir unbedingt noch schnell den neuesten rassistischen Witz erzählen mussten. Manch‘ ältere Leute wollten ganz besonders nett sein und lobten mein gutes Deutsch, während sie sich gleichzeitig den neugierigen Übergriff in meine Haare nicht verkneifen konnten. 

    Was weißt du über deinen Vater? 

    Er kam aus Westafrika, um in der DDR Maschinenbau zu studieren, wurde aber ausgewiesen, als ich drei war. Danach lebte er im Rheinland. Kontakt hatten wir erst nach dem Mauerfall. 1990 oder 1991 fuhr ich mit einem Kollegen zu ihm – zum ersten Mal in den Westen und zum ersten Mal, um meinen Vater wiederzusehen. Eine richtige Bindung entstand aber nicht. 

    Wie hast du deine Freizeit verbracht?

    Ich kann mich noch an die Diskoveranstaltungen in unserer Schulspeisung erinnern. Dafür schob man die Tische mit angetrockneten Essensresten zur Seite, spielte Ost- und Westmusik aus selbstgebastelten Boxen und beleuchtete alles mit zwei bunten Lampen. Die Schüler haben es geliebt. Ich als Nichttänzer hörte lieber den Tratsch danach – über Rangeleien, erste alkoholbedingte Peinlichkeiten oder Liebesgerüchte.

    Wie ist es bei dir nach der Schule weitergegangen? 

    Ich machte eine Lehre im Waggonbau Ammendorf und fuhr fünf Jahre lang mit der ersten S-Bahn um 4:35 Uhr los. Den Waggonbau Ammendorf empfand ich als Sammelbecken für schräge Typen: Alkoholiker, Ex-Knackis und Möchtegern-Bonzen. Ein Lichtblick waren die mosambikanischen Gastarbeiter. Sie bekamen die unbeliebtesten Aufgaben, hatten aber mit Abstand die positivste Ausstrahlung von allen.

    Wie hast du die Wende erlebt? 

    Es war eine ambivalente Zeit. Während man an seiner ersten Banane lutschte, lernte man das Arbeitsamt kennen. Außerdem ist unsere Platte als eine der ersten abgerissen worden und die Nazis wurden nach der Wende immer präsenter. Während der Jobsuche bin ich in Kontakt mit zwei norddeutschen Typen gekommen. Bei denen herrschte eine Goldgräberstimmung, die hatten aber auch eine Vision. Wir haben dann das erste große Fitness-Studio in Halle aufgebaut. Arroganz oder Geringschätzung hab ich mit den beiden nicht erlebt. Sie waren eher beeindruckt von der ostdeutschen Zuverlässigkeit und der familiären Atmosphäre im Studio.

    Du bist 1993 aus Halle-Neustadt weggezogen. Was hat sich verändert? Was war früher anders?

    Gut in Erinnerung habe ich noch das das sogenannte Dienstleistungskombinat. Dort wurden elektrische Haushaltsgeräte sowie Schuhe, Uhren, Taschen repariert, Filme entwickelt, Wäsche gewaschen und Kleidung gereinigt. Einfach das Zeug abgeben und ein bis zwei Wochen später für kleines Geld wieder abholen. Früher gab es auch zwei Fußgängerbrücken über die Magistrale. Die fielen nach der Wende der Straßenbahn zum Opfer. Als Kind bin ich im Sommer mit Rollschuhen und im Winter mit Gleitschuhen völlig angstfrei die Brücken runtergerast. Ich kann mich erinnern, dass wir als Kinder oft auf dem von der Sonne aufgeheizten Boden der Brücke lagen und darauf gelauert haben, dass der Leuna-Feierabendzug unsere Mutter wieder aus dem Tunnelbahnhof ausspuckt.

    {Platzhalter: Das Interview in voller Länge: XXXXX}

    Alle Interviews gibt es online unter:
    unser-haneu.de/unterhaltungsanfrage

    Die Ergebnisse der Recherche von Anna-Lena Wenzel zu Kommunikationswegen in Halle-Neustadt werden im August online im Südpark-Magazin veröffentlicht:

    amsüdpark.de


    „So ein Block war wirklich wie ein Dorf– nur auf zwölf Etagen mit Fahrstuhl”
  • Ideenwettbewerb „Digitale Brückenbauer“

    Ideenwettbewerb „Digitale Brückenbauer“


    Bis zum 15. Mai waren die Bewohner:innen von Halle-Neustadt dazu aufgerufen, ihre ganz eigenen Ideen für eine smarte Neustadt einzubringen. Im Rahmen des Ideenwettbewerbs „Digitale Brückenbauer“, den der Verein Science2Public im Auftrag der Stadt durchführt, winken bis zu 2.000 Euro Preisgeld. Am 1. Juli kürt die Jury die besten Projekte aus insgesamt 32 Einreichungen. Die Vorschläge reichen von App-Entwicklungen, dem Einsatz von KI und 3D-Druck bis hin zu Barrierefreiheit und digitaler Inklusion. Die Preisträger:innen werden dann in der Pilotphase bis zum Ende des Jahres ihre Projektideen erproben.


    Ideenwettbewerb „Digitale Brückenbauer“
  • Smart Murals

    Smart Murals

    Am 11. Juli veranstaltet die Freiraumgalerie eine Blockparty im Rahmen des Projekts Smart City Halle. Dabei wird eine Neufassung des Wandbildes „Flug der Schwäne“ von Heinz Möhrdel eingeweiht.

    Der Grafiker Heinz Möhrdel ist in Halle-Neustadt vor allem für seinen Entwurf des ikonografischen Stadtwappens bekannt. Darüber hinaus widmete er sich in der DDR der Kunst am Bau und gestaltete in HaNeu das zweiteilige Wandbild „Flug der Schwäne“ im Südpark. Doch der Zahn der Zeit nagt an dem Werk und das Wandbild hat viel von seinem einstigen Glanz eingebüßt.

    Nun wird die Freiraumgalerie eine Neuauflage des zweiteiligen Ensembles an die Wand bringen. Bereits im vergangenen Jahr hat die Freiraumgalerie anlässlich des 60-jährigen Jubiläums von Halle-Neustadt mit den Arbeiten begonnen. Die Neuauflage ist eine Hommage an Heinz Möhrdel – stellvertretend für die reichhaltige architekturbezogene Kunst im Stadtteil. 

    Die feierliche Eröffnung findet am 11. Juli von 16  bis 21 Uhr in der Meisdorfer Straße statt. Zu diesem Anlass veranstaltet die Freiraumgalerie erneut eine Blockparty im Rahmen des Projekts Smart City Halle (Saale). Um 17 Uhr wird eine Führung stattfinden. Dazu ist Martin Maleschka, Experte für Kunst am Bau der DDR, geladen. Doch bei der Blockparty können die Besucher:innen nicht nur das Wandbild bestaunen, sondern auch auf experimentelle Weise die Schnittstellen zwischen virtuellem und analogem Raum erkunden.
    Möglich macht das Augmented Reality (deutsch: „erweiterte Realität“) – eine computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung, die vielen noch aus dem Mobile Game Pokémon Go bekannt sein dürfte. Dabei werden virtuelle Kunstwerke im öffentlichen Raum platziert, die per Smartphone entdeckt werden können.

    Die digitalen Exponate stammen von Schüler:innen der Humboldt-Schule und wurden im Rahmen von Workshops der Freiraumgalerie während des Kunstunterrichts entwickelt. Ergänzt wird die Ausstellung durch Skulpturen, die am Computer modelliert und per 3D-Druck gefertigt wurden. Zudem werden interaktive Installationen über Computer-Monitore präsentiert, die dynamisch auf Körperbewegungen und Handgesten der Besucher:innen reagieren. Matthias Petzold von der Freiraumgalerie erklärt: „In Zeiten, in denen viele von uns isoliert vor Bildschirmen sitzen, ist unsere Veranstaltung ein Versuch, Menschen wieder zusammenzubringen und den Raum gemeinsam erlebbar zu machen.“


    Smart Murals
  • Doku über Kindheit in Neustadt

    Der Filmemacher Conrad Winlöer
    Der Filmemacher Conrad Winkler studiert an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Für seine Abschlussarbeit plant er eine Dokumentarfilm über Kindheit in Halle-Neustadt. © Sohalski

    Der Filmemacher Conrad Winkler ist trotz seiner jungen Karriere kein unbeschriebenes Blatt. Für seinen Dokumentarfilm „Stadtrand“ ist er einst nach Trotha gezogen. Der Film wurde beim Leipziger Kurzfilmfestival „Kurzsüchtig“ ausgezeichnet und lief auch im Programm des MDR. Für seinen Abschlussfilm hat es den Dokumentarfilm-Studenten der renommierten Hochschule für Fernsehen und Film in München wieder an den Stadtrand verschlagen – nach Halle-Neustadt. Was der gebürtige Hallenser nun vorhat und warum ein Picknick am Wegesrand bei ihm die Initialzündung für seine Filmidee ausgelöst hat, erfahren Sie hier. 

    Die eigene Abschlussarbeit stellt für Studierende oftmals eine scheinbar unüberwindbare Herausforderung dar, eine, die man auch gerne lieber aufschiebt. Conrad Winkler hat für seinen Abschluss allerdings keine Seiten zu füllen, sondern ein Abendprogramm. Vergangenes Jahr zog Winkler im Rahmen seiner Recherche nach Halle-Neustadt, zuvor hatte er kaum Berührungspunkte mit dem Stadtteil und kannte HaNeu nur vom Schwimmunterricht.

    Das Interesse für den Ort war da, aber eine konkrete Idee hatte er nicht. Neustadt ist für Winkler mit polarisierenden Bildern aufgeladen – zwischen Sozialismus und sozialem Brennpunkt. Und so bekam Winkler erste Zweifel am eigenen Vorhaben. Den entscheidenden Impuls hatte eine zufällige Beobachtung vergangenen Sommer im Südpark bei ihm ausgelöst. Einige Kinder haben auf einem schmalen Grünstreifen vor ihrem Haus ein Picknick abgehalten, keine Erwachsenen weit und breit: ein Moment der Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit. Winkler sieht darin eine Brücke zu den Anfängen, als Halle-Neustadt eine junge und kinderreiche Stadt war. „Irgendwie war der emotionale Zugang durch dieses Bild am Anfang da und ich dachte, es macht jetzt total Sinn in Neustadt auf Kinder zu schauen”, sagt Winkler, „wie erleben sie aktuell den Stadtteil und was machen sie aus ihm?” 

    Der Stoff war gefunden für einen Film, den er auch gerne im Kino sehen würde – für den Filmemacher ein gutes Omen für ein erfolgversprechendes Projekt. Um die Protagonist:innen für seinen Film zu finden, hat Winkler in verschiedenen Kinder- und Jugendeinrichtungen hospitiert und dort viel Zeit verbracht, angepackt, geholfen, Radio- und Filmprojekte mit den Kindern umgesetzt und nebenbei sein Casting betrieben. Und dabei die Kinder genau beobachtet: Wer hat eine besondere Ausstrahlung, zu wem lässt sich eine Bindung aufbauen? Vier Kinder hat Winkler für seinen Film schließlich gewonnen: zwei Mädchen und zwei Jungen – vier Nationalitäten. Die Arbeit mit Kindern ist für Winkler inspirierend, aber auch herausfordernd. Kinder seien deutlich aufgeschlossener, aber die Arbeit ist von Spontanität geprägt, sie ist weniger planbar, man muss sich einlassen – auf den Moment und die Persönlichkeit des Kindes. Überzeugungsarbeit war hingegen besonders bei den Eltern vonnöten, um Vertrauen aufzubauen und das eigene Vorhaben und die Besonderheiten des Dokumentarfilms begreifbar zu machen. Schließlich will Winkler die Familien über einen langen Zeitraum begleiten. Da ist es wichtig, sich kennenzulernen, die eigene Arbeit transparent zu machen und die Familien an das Setting mit der Kamera heranzuführen. 

    In der zweiten Jahreshälfte soll es dann mit den Dreharbeiten losgehen. 20 Drehtage sind dafür angesetzt, die flexibel gewählt werden, schließlich will Winkler natürliche Szenen aus dem Alltag der Kinder einfangen. Denkbar sind allerdings auch kleine Denkanstöße oder Aufgaben, mit denen Winkler die Kinder anleiten will, um eine Auseinandersetzung mit dem Ort zu schaffen und die zugleich die jeweiligen Talente der Kinder aufzeigen. So lassen sich Kinderzeichnungen mittels KI animieren oder einzelne Tonaufnahmen zu einer szenischen Klangcollage verdichten. Ob diese Ideen dann fruchten, lässt sich aber erst im Drehprozess und spätestens im Schnitt beurteilen. „Spielfilm ist Diktatur, Dokumentarfilm eher Demokratie”, findet Winkler. Dokumentarfilm ist eine Gemeinschaftsarbeit, die sich dialogisch aus dem Prozess entwickelt, es ist ein Geben und Nehmen. Doch was nehmen Winklers Protagonist:innen aus seinem Film mit?

    Halle-Neustadt ist ein beliebter Stoff für Medienprojekte, – ein ständiges Kommen und Gehen. Eine Reportage von Stern-TV über Halle-Neustadt erreichte vergangenes Jahr ein Millionenpublikum. Das eindimensionale Bild, das die Doku von HaNeu zeichnet, verfängt sich in den Köpfen der Menschen – auch von denen, die hier leben. Winklers Arbeit wird jedoch kein Imagefilm über den Stadtteil. Er will die Probleme benennen, aber auch keine Stereotypen abbilden oder Kriminalitätsstatistiken runterbeten. Winkler will nicht nur über, sondern aus Halle-Neustadt erzählen und aufzeigen, dass hinter seinen Protagonist:innen echte Menschen stecken. „Halle-Neustadt ist ein Lebensraum und kein Brennpunkt”, sagt Winkler. Mit seinem Film wird er das Denken der Kinobesucher:innen nicht verändern können – das wäre idealistisch. Aber er will den Film in das Leben der Kinder tragen und Interesse wecken, um die eigene Geschichte zu erzählen. Damit hofft er, zumindest einen Zugang zur eigenen Wahrnehmung zu schaffen und zwar nicht nur für die Kinder, die in seinem Film auftauchen, sondern für alle, die sich in ihnen wiedererkennen.


    Doku über Kindheit in Neustadt
  • Im Westen was Neues

    Im Westen was Neues

    Zirkuszelt am Niedersachsenplatz in Halle-Neustadt
    Der Neustadt-Fanclub schlägt jeden vierten Freitag im Monat ein buntes Zirkuszelt in der Neustadt auf und lädt zur Langen Tafel ein.

    Wenn du Ende des Monats das Dach eines bunten Zirkuszeltes in der Neustadt siehst, dann hat möglicherweise der Neustadt Fanclub zur Langen Tafel geladen – mit Kaffee, Tee und selbstgebackenem Kuchen. Der Neustadt Fanclub ist eine lose Verbindung aus verschiedenen Initiativen des Stadtteils und will die Nachbarschaft in den Dialog bringen, damit sich Menschen aus dem Quartier mit unterschiedlichen Meinungen gegenseitig zuhören, sich austauschen und kennenlernen können – so wie im April am Niedersachsenplatz. Vor allem ältere Bewohner:innen aus der unmittelbaren Nachbarschaft haben sich eingefunden, viele von ihnen sind Erstbezieher:innen.

    Der Niedersachsenplatz verdient den Namen Platz überhaupt nicht. Es ist eine grüne Brachfläche. Gesäumt mit hohem Gras und vereinzelten Bäumen und Sträuchern, Trampelpfade bahnen sich ihren Weg. Einst stand hier das Quartierszentrum, wie es für die Nahversorgung jedes Wohnkomplexes vorgesehen war. Mit der Wende folgte der Rückbau. Die Neustadt sollte in umgekehrter Reihenfolge schrumpfen, wie sie einst gewachsen ist – von den Rändern zum Zentrum. Abgesehen von einer Kaufhalle blieb nichts stehen. Doch mittlerweile liegen Pläne vor, wie die Freifläche am Niedersachsenplatz nachhaltig genutzt werden könnte. So hatte Mitte April die Stadt ihre Planung für eine umfangreiche Grünflächengestaltung im Rahmen der frühzeitigen Bürgerbeteiligung der Öffentlichkeit präsentiert. „Die Zeit der Schrumpfung ist vorüber”, meint Nico Schröter von der Stadt.

    Grünstreifen bis zum Heidesee

    Ein Grünstreifen soll das Zentrum des ehemaligen sechsten WKs aufwerten und eine attraktive Verbindung zum Naherholungsgebiet am Heidesee schaffen. Insgesamt sollen dazu Investitionsmittel in Höhe von knapp drei Millionen Euro, finanziert durch Städtebaufördermittel, eingesetzt werden. Bis Ende des Jahres soll die Planung für den ersten Bauabschnitt abgeschlossen und bis Ende 2027 umgesetzt werden. Zahlreiche generationsübergreifende Spiel-, Sport und Aufenthaltsangebote sollen entstehen sowie eine Wildblumenwiese und trockenheitsresistente einheimische Baumarten gepflanzt werden. Doch das Vorhaben trifft unter der anwesenden Bevölkerung nicht nur auf Wohlwollen. Denn viele Wünsche und Vorschläge lassen sich nicht umsetzen. So wird es keine Beleuchtung geben, auch ein Grillplatz ist aus Brandschutzgründen nicht umsetzbar. Die Schaffung einer Hundewiese sei jedoch denkbar und soll für die folgende Planung berücksichtigt werden. Öffentliche Trinkbrunnen oder Toiletten sind ebenfalls nicht vorgesehen, da die Erschließung zu teuer ist. 

    Der Entwurf des Quartierszentrum am Niedersachsenplatz

    So soll es mal aussehen, wenn die Bauarbeiten abgeschlossen sind: das Nachbarschaftszentrum der HaNeuer Wohnen.
    Der neue Eröffnungstermin ist für Mitte 2026 vorgesehen. © HaNeuer Wohnen

    Dafür könnte jedoch das Nachbarschaftszentrum der Wohnungsbaugenossenschaft HaNeuer Wohnen Sorge tragen, in dessen Rohbau die Bürgerbeteiligung stattgefunden hat. Bis Mitte 2026 soll dieses fertiggestellt werden, wie Gerhard Wünscher, Vorstandsmitglied der HaNeuer Wohnen, verkündete und wofür er prompt hämisches Gelächter aus dem Publikum erntete. Denn ein Eröffnungstermin für das Nachbarschaftszentrum wurde schon oftmals angekündigt und wieder verschoben. Gestiegene Baukosten und Personalmangel bei den Auftragnehmern seien Schuld daran, dass sich der Eröffnungstermin immer wieder verzögerte. Mittlerweile haben sich die Kosten verdoppelt. Zu den genauen Zahlen hält sich die HaNeuer bedeckt. Das Nachbarschaftszentrum richtet sich besonders an das ältere Publikum – Zielgruppe Ü65. Es soll der Einsamkeit entgegenwirken. Denn Einsamkeit sei ein Risikofaktor für Bluthochdruck, Diabetes und Demenz, meint Claudia Treuter, Pflegemanagerin der HaNeuer Wohnen.

    Im Nachbarschaftszentrum werden künftig Sport- und Bewegungsangebote wie Yoga, Zumba und Tanzkurse gebündelt angeboten. Eine Physiotherapie will sich einmieten und eine Showküche wird unterkommen, in der vereinzelte Kochevents mit Sterne-Köchen stattfinden sollen. Zusätzlich wird Ernährungsberatung angeboten und ein Gemeinschaftsgarten soll angelegt werden. Auch die Musterwohnung der Wohnungsbaugenossenschaft wird im Nachbarschaftszentrum untergebracht, in der sich Bewohner:innen über moderne Lösungen für eine altengerechte Wohnung informieren können. Denn altengerecht soll, nach Wunsch der HaNeuer Wohnen, das gesamte Quartier mit seinen 4.000 Bewohner:innen umgestaltet werden. 

    Die verdatete Oma

    Einen Einblick davon kann man sich schon heute im Göttinger Bogen verschaffen. Eine Matratze im Bett misst Bewegungen und Feuchtigkeit. Das erspart dem Pflegedienst möglicherweise unnötige Wege. Eine Medikamentenbox kann von der Apotheke wöchentlich befüllt werden. Ein grünes Licht blinkt auf und vermittelt den Bewohner:innen, welche Medikamente zu welchem Wochentag und welcher Tageszeit eingenommen werden müssen. Angehörige können die Einnahmen anschließend per App überprüfen, respektive dass sie zumindest aus der Verpackung genommen wurden. Die Beleuchtung in der Wohnung lässt sich per Spracheingabe steuern. Eine Kamera im Fernseher misst die Emotionen der Bewohner:innen, das funktioniere leider aber mehr schlecht als recht, lässt Treuter wissen.

    Über Kameras im Kühlschrank können die Angehörigen aus der Ferne überprüfen, ob er auch ausreichend gefüllt ist. Eine Katze scheint unter den interessierten Besucher:innen der Musterwohnung besonderes Gefallen zu finden. Sie schnurrt und bewegt sich, ist ansonsten aber wenig lebendig, denn es handelt sich um einen Roboter. Derartiges soll Demenzkranken als Begleiter Gesellschaft leisten. Schließlich drohen lebende Haustiere bei ihren vergesslichen Halter:innen zu verhungern. Im Fußboden ist Sensorik verbaut, die bei einem Sturz der Bewohner:innen den Notdienst alarmiert und über eine App die Angehörigen informiert. Über eine App können die Bewohner:innen auch Vitaldaten wie Blutdruck und Zuckerwerte übermitteln, die dann an die zuständigen Hausärtz:innen weitergeleitet werden. Etwa 50 Bewohner:innen nehmen an diesem Modellprojekt im Augenblick teil. Technische Lösungen für ein soziales Problem, die möglicherweise die entgegengesetzte Wirkung erzielen, von dem, was sie beabsichtigen. Etwa dann, wenn die Sorge der Angehörigen um Eltern oder Großeltern ausgelagert wird – und der Anruf der Enkel künftig ausbleibt, weil stattdessen nur noch das Statusupdate in der App geprüft wird.: alles im grünen Bereich – die Oma lebt. Ein trügerische Gewissheit, denn technische Lösungen sind fehleranfällig. Und wie ist es um die Selbstbestimmung der Teilnehmenden bestellt? Führt das Potenzial der Selbstverdatung nicht möglicherweise zu einem Zwang oder einer Erwartungshaltung, an dem Projekt teilzunehmen? Derartige Einwände hält Wünscher für unbegründet. Es ist die Aufgabe der Betroffenen und ihrer Angehörigen festzustellen, was passt und was nicht. 

    eine Roboter-Katze soll Demenzkranken zukünftig Gesellschaft leisten

    Miau! Sie schnurrt und bewegt sich, ist allerdings nicht lebendig. Roboter-Katzen sollen einsamen Demenzkranken in Zukunft Gesellschaft leisten.

    Ursprünglich sollten insgesamt 300 Wohnungen mit derartigen technischen Assistenzsystemen ausgestattet werden. Von diesem Vorhaben hat sich die HaNeuer allerdings verabschiedet, denn die Ausstattung ist schlicht zu teuer. Ein frei verstellbares Pflegebett wäre zwar für Pflegende eine echte Erleichterung, die Kosten in Höhe von etwa 7.000 Euro übernimmt die Pflegeversicherung indes nicht. Außerdem lässt Wünscher durchblicken, dass man sich mittlerweile von allzu techno-optimistischen Lösungen verabschiedet habe. Für ein selbstbestimmtes, altengerechtes Wohnen in den eigenen vier Wänden braucht es eben auch die Einbindung der Familie und der Nachbarschaft. 

    Ein Quartier für alle?

    Zurück zur Langen Tafel. Eine Teilnehmerin an der Langen Tafel wohnt direkt gegenüber vom Niedersachsenplatz, in der Oldenburger Straße. Ihr Wohnblock wurde vor wenigen Jahren von der HaNeuer altengerecht saniert. Fahrstühle wurden verbaut. Die Wohnungen im Erdgeschoss sind barrierefrei und können von Genossenschaftsmitgliedern nach Reha-Aufenthalten genutzt werden. Von der ständigen Selbstvermessung hält die ältere Dame jedoch herzlich wenig, das täte sie schon oft genug. Direkt vor ihrer Tür soll ein Kinderspielplatz entstehen, im Haus fürchtet man Lärm und vandalisierende Jugendliche. Und man fürchtet sich vor Migrant:innen. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Anteil der Ausländer:innen in der westlichen Neustadt versiebenfacht. Jede:r vierte hat keinen deutschen Pass. Doch wären Spielplätze nicht gerade geeignet, um für eine altersübergreifende soziale Durchmischung zu sorgen und das Quartier auch für junge Familien attraktiv zu machen? Für das Lärmempfinden der Bewohner:innen hat Wünscher indes wenig Verständnis. Derartige Konflikte müssen untereinander ausgehandelt werden. „Wir sollten nicht alles schlecht reden”, sagt Wünscher, „wir haben jetzt die Chance für eine Aufbruchsstimmung”.

    Kinder am Niedersachsenplatz in Halle-Neustadt

    Ein Quartier in der westlichen Neustadt soll altengerecht werden. Doch ist der VI. WK auch ein Ort für Kinder und junge Familien? 

    Gemeinsam mit der Uni Halle will die HaNeuer erforschen, wie das Mobilitätsverhalten von Menschen mit Rollatoren und Rollstühlen mittels digitaler Möglichkeiten verbessert werden kann. Doch Konzepte wie Mehrgenerationen-Häuser, die ältere Menschen nicht nur als Kostenfaktor, sondern auch als wertvolle Unterstützung für junge Familien – etwa in der nachbarschaftlichen Kinderbetreuung – begreifen und wertschätzen, spielen in den Planungen der Wohnungsbaugenossenschaft keine tragende Rolle. Für Begegnungen zwischen Jung und Alt solle schließlich das Nachbarschaftszentrum Sorge tragen. Die HaNeuer sei zudem bemüht, freie Wohnungen an Familien und junge Menschen zu vermitteln. Im Westen des VI. WKs, in fußläufiger Nähe zur Haltestelle Soltauer Straße, besitzt die Stadt zusätzlich geeignete Flächen, die als Bauland für Einfamilienhäuser genutzt werden könnten, um dem Fortzug junger Familien ins Umland zu verhindern.   

    Die westliche Neustadt ist einer der Stadtteile mit der ältesten Bevölkerung. Bei der letzten Bundestagswahl erhielt die AfD 43,8 Prozent der Zweitstimmen und war somit mit Abstand die stärkste Kraft. Der Neustadt Fanclub, die Veranstalter:innen der Langen Tafel, will für mehr Verständnis werben, nicht nur zwischen den Generationen, sondern auch zwischen Alteingessenen und Zugezogenen. Doch dafür gilt es, noch viele Gespräche zu führen und so einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten. Abwarten und Tee trinken.

    Der Neustadt Fanclub lädt jeden vierten Freitag im Monat zur Langen Tafel.
    Die nächsten Termine sind:

    • 27. Juni: Andalusierstraße
    • 25. Juli: Tulpenbrunnen
    • 22. August: Veit-Stoß-Straße
    • 26. September: Carl-Schorlemmer-Ring/Ernst-Abbe-Straße
    • 24. Oktober: Taubenbrunnen

    Im Westen was Neues