Wie und über welche Kanäle kommunizieren Menschen in Halle-Neustadt? Diesen Fragen ist die Autorin Dr. Anna-Lena Wenzel im Rahmen ihrer Recherche nachgegangen. Parallel sind mehrere Interviews mit zu- und fortgezogenen Bewohner:innen des Stadtteils entstanden. An dieser Stelle veröffentlichen wir eine gekürzte Interviewfassung mit Tony (Name geändert), der als Afro-Deutscher in Neustadt zwischen Sozialismus, Wende und Baseballschlägerjahren aufwuchs.
Anna-Lena Wenzel: Wie hast du deine Ankunft in Halle-Neustadt erlebt?
Tony: Meine Mutter zog 1972 mit mir und meinem jüngeren Bruder hierher. Es gab Jobs und Wohnungen, hieß es. Ich war sechs. In meinem Block wohnten 15 Schüler aus meiner Klasse. Ich kenne bis heute die Vornamen ihrer Geschwister und Eltern. So ein Block war wirklich wie ein Dorf – nur auf zwölf Etagen mit Fahrstuhl. Damals war alles Baustelle. Wir spielten viel draußen und bauten auch mal Mist.
Und wie war es, als Afro-Deutscher hier aufzuwachsen?
In der Tram blieb der Platz neben mir oft frei, selbst wenn es voll war. Setzte ich mich neben jemanden, zog derjenige seine Taschen enger an sich. Nervig war auch, wenn Bekannte mir unbedingt noch schnell den neuesten rassistischen Witz erzählen mussten. Manch‘ ältere Leute wollten ganz besonders nett sein und lobten mein gutes Deutsch, während sie sich gleichzeitig den neugierigen Übergriff in meine Haare nicht verkneifen konnten.
Was weißt du über deinen Vater?
Er kam aus Westafrika, um in der DDR Maschinenbau zu studieren, wurde aber ausgewiesen, als ich drei war. Danach lebte er im Rheinland. Kontakt hatten wir erst nach dem Mauerfall. 1990 oder 1991 fuhr ich mit einem Kollegen zu ihm – zum ersten Mal in den Westen und zum ersten Mal, um meinen Vater wiederzusehen. Eine richtige Bindung entstand aber nicht.
Wie hast du deine Freizeit verbracht?
Ich kann mich noch an die Diskoveranstaltungen in unserer Schulspeisung erinnern. Dafür schob man die Tische mit angetrockneten Essensresten zur Seite, spielte Ost- und Westmusik aus selbstgebastelten Boxen und beleuchtete alles mit zwei bunten Lampen. Die Schüler haben es geliebt. Ich als Nichttänzer hörte lieber den Tratsch danach – über Rangeleien, erste alkoholbedingte Peinlichkeiten oder Liebesgerüchte.
Wie ist es bei dir nach der Schule weitergegangen?
Ich machte eine Lehre im Waggonbau Ammendorf und fuhr fünf Jahre lang mit der ersten S-Bahn um 4:35 Uhr los. Den Waggonbau Ammendorf empfand ich als Sammelbecken für schräge Typen: Alkoholiker, Ex-Knackis und Möchtegern-Bonzen. Ein Lichtblick waren die mosambikanischen Gastarbeiter. Sie bekamen die unbeliebtesten Aufgaben, hatten aber mit Abstand die positivste Ausstrahlung von allen.
Wie hast du die Wende erlebt?
Es war eine ambivalente Zeit. Während man an seiner ersten Banane lutschte, lernte man das Arbeitsamt kennen. Außerdem ist unsere Platte als eine der ersten abgerissen worden und die Nazis wurden nach der Wende immer präsenter. Während der Jobsuche bin ich in Kontakt mit zwei norddeutschen Typen gekommen. Bei denen herrschte eine Goldgräberstimmung, die hatten aber auch eine Vision. Wir haben dann das erste große Fitness-Studio in Halle aufgebaut. Arroganz oder Geringschätzung hab ich mit den beiden nicht erlebt. Sie waren eher beeindruckt von der ostdeutschen Zuverlässigkeit und der familiären Atmosphäre im Studio.
Du bist 1993 aus Halle-Neustadt weggezogen. Was hat sich verändert? Was war früher anders?
Gut in Erinnerung habe ich noch das das sogenannte Dienstleistungskombinat. Dort wurden elektrische Haushaltsgeräte sowie Schuhe, Uhren, Taschen repariert, Filme entwickelt, Wäsche gewaschen und Kleidung gereinigt. Einfach das Zeug abgeben und ein bis zwei Wochen später für kleines Geld wieder abholen. Früher gab es auch zwei Fußgängerbrücken über die Magistrale. Die fielen nach der Wende der Straßenbahn zum Opfer. Als Kind bin ich im Sommer mit Rollschuhen und im Winter mit Gleitschuhen völlig angstfrei die Brücken runtergerast. Ich kann mich erinnern, dass wir als Kinder oft auf dem von der Sonne aufgeheizten Boden der Brücke lagen und darauf gelauert haben, dass der Leuna-Feierabendzug unsere Mutter wieder aus dem Tunnelbahnhof ausspuckt.
{Platzhalter: Das Interview in voller Länge: XXXXX}
Alle Interviews gibt es online unter:
unser-haneu.de/unterhaltungsanfrage
Die Ergebnisse der Recherche von Anna-Lena Wenzel zu Kommunikationswegen in Halle-Neustadt werden im August online im Südpark-Magazin veröffentlicht: